Malerei von Sada Oishi

“Schritte”

Ich habe die Künstlerin Sada Oishi vor zwei Jahren erst in Tokio kennengelernt. Damals inszenierte ihre zwischen Berlin und Tokio pendelnde Tochter Kazuko Watanabe zum 150. Geburtstag des Dichters, Arztes und Generals Mori Ogai (der zwischen Berlin, Deutschland und Japan ein Übermittler in Wissenschaft und Künsten war) Willibald Glucks Oper “Orpheus und Eurydike” in Tokio, mit dem Libretto von Mori Ogai, das dieser im Jahr 1914 verfasst hatte. Bei der Premiere vor 2000 Zuschauern wurde ich auch Kazuko Watanabes Mutter Sada Oishi vorgestellt: einer schönen alten Dame, der man ihr wahres Alter nicht ansah.

Nach der mehrstündigen Opernaufführung war Frau Oishi noch blendend aufgelegt und trank bei der Premierenfeier als erstes ein großes Glas Bier. Damals war sie wohl schon 96 Jahre alt und hatte, wie mir erzählt wurde, vor einiger Zeit selber eine späte, erfolgreiche Karriere als bildende Künstlerin gestartet. Auf den Spuren ihrer Tochter, aber ganz anders. In der Tradition der japanischen Tuschmalerei und Holzschnitt-Kunst.

Ich erfuhr, dass Sada Oishis Schwiegervater einer der wenigen Politiker in Japan war, der im Zweiten Weltkrieg gegen die Entmachtung des Parlaments und gegen die Einführung einer Art Militärdiktatur stimmte.
Und ihr Mann Buichi Oishi glich dem Reformer Mori Ogai: Arzt auch er, dann
in den 1969er Jahre Minister für Umweltschutz und später Landwirtschaft, der gegen den Widerstand der mächtigen Automobilindustrie in Japan den Katalysator und besonders strenge Abgasrichtlinien durchsetzte.

Sada Oishi war lange Zeit wohl nur die Politkergattin, die Herrin des privaten Haushaltes, die Mutter ihrer Kinder. Doch dann kam die Kunst, wie ein zweiter Wind in der poetischen Dämmerung eines langen Lebens. Sie hat meine Frau und mich mit ihrer Tochter und Enkeltochter später in Berlin besucht. Dabei betrachtete sie sogleich aufmerksam einige japanische Farbholzschnitte aus der Edo-Zeit, von Hokusai, Hiroshige und Utamaro an den Wänden unserer Berliner Wohnung, und ich erklärte ihr, dass die Bilder mein Großvater als Angehöriger der deutschen Botschaft in Tokio kurz vor dem Ersten Weltkrieg erworben habe.

Frau Oishi lächelte ihr No-Theatermasken-Lächeln und nickte – wir konnten uns nur mit Hilfe ihrer übersetzenden Angehörigen verständigen. Aber Worte spielten kaum eine Rolle, nur der Blick, ein Nicken, ein leichter Händedruck. Und seitdem hängt Sada Oishis Gastgeschenk neben meinem Schreibtisch. Ihre Tuschfederzeichnung zeigt schwarzgrau schattiert und mit einem winzigen Hauch Grün im Blütenkelch eine geöffnete Blume, vermutlich eine Orchidee, auf dem Blatt in einem zarten Goldrahmen gefasst.  Für unsere westlichen Augen ein Bild der alterslosen Kalligraphie, der uns oft fremd oder unselbstverständlich gewordenen  Schönheit des Zeichens und Zeichnens, sehr fein, fast ätherisch und doch so lebendig stark wie ihre Schöpferin.

Peter von Becker, Berlin im Mai 2014

Sada Oishi (Fotograf Volker Gläser)

Vita

1916 in Sendai, Japan als 5. Kind eines Kendo Meisters geboren. Nach der Schule geht sie auf ein christliches College, in dem viele europäische Lehrer unterrichten.

1937 heiratet sie den Arzt Buichi Oishi. Sie bekommt 4 Kinder. Sie lebt als Hausfrau und Mutter bis Ende des 2. Weltkriege in Sendai.

1948 stirbt ihr Schwiegervater, ein bekannter Politiker. In seinem Testament verfügt er, das sein Sohn Buichi seine Nachfolge antreten muss. Buichi Oishi beginnt seine politische Kariere und lebt nun in Sendai und Tokyo. Sada muss neben der Kindererziehung in Sendai Repräsentationsaufgaben übernehmen und ihren Mann bei den vielen Wahlkämpfen unterstützen.

1950 Sada Oishi beginnt sich mit der japanischer Malerei zu beschäftigen.

1954 zieht die Familie nach Tokyo.1969 wird Buichi Oishi erster Umweltminister in Japan.

1979 beginnt sich Sada Oishi für Ölmalerei zu interessieren und geht zwecks Studien an das Asahi Cuture Center, Tokyo. In den Jahren darauf Teilnahme an verschiedenen Gruppenausstellungen. Anfang der 90er Jahre erste eigene Ausstellung in Ginza, Tokyo. Auf Grund ihrer Erfolge wird sie in die bekannte Künstlergruppe Ikikai aufgenommen. Sie erhält drei Mal einen Preis, darunter auch den „Annual Ikikai Grand Prix“

2003 stirbt ihr Mann Buichi Oishi. Seit seinem Tod ist die Malerei der Mittelpunkt Ihres Lebens.

Bis 2013 beteiligt sie sich jährlich an drei Gruppenausstellungen in der „New National Art Center“ Roppongi, Tokyo und National Art Center Ueno, Tokyo.

Sada Oishi lebt heute in Berlin und Tokyo

Vita auf japanisch (PDF, 1,71 MB)

Ausstellungseröffnung: Samstag, 14. Juni 2014 von 14:00 bis 17:00 Uhr
Die Künstlerin ist anwesend
Ausstellungsdauer: Dienstag, 17. Juni bis Mittwoch, 30. Juli 2014